Was ist Psychotherapie?

Im Folgenden möchte ich kurz auf die Fragen eingehen, die am häufigsten zum Thema Psychotherapie gestellt werden. Ich beziehe mich dabei explizit auf die Lage in Deutschland, da es in anderen Ländern vollkommen andere, oftmals auch gar keine Regulierung von Psychotherapie gibt.

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Allgemeines zur Psychotherapie (in Deutschland)


Wer darf sich Psychotherapeut nennen?


Welche wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren gibt es?


Allgemeines zur Psychotherapie (in Deutschland)

Psychotherapie ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen Methoden, die alle den Zweck haben, psychische Störungen zu beseitigen, ohne dass dabei Medikamente eingesetzt werden. (Was nicht heißt, dass Betroffenen nicht nebenher noch Medikamente zur Behandlung ihrer Störung einnehmen dürfen. Nur ist dies nicht Teil der Psychotherapie.) Behandelt wird dabei meist durch Gespräche, (Verhaltens-)Übungen und Entspannungsmethoden. Der Begriff ist gesetzlich nicht geschützt und so gab es viele Jahre leider eine fast unüberschaubare Zahl von Angeboten und Methoden, deren Wirksamkeit oft fraglich und nur in wenigen Fällen mit wissenschaftlichen Methoden überprüft worden war. Um diesem Missstand zu begegnen, wurde in Deutschland 1999 das sogenannte Psychotherapeutengesetz ins Leben gerufen. Mit diesem wurde unter anderem festgelegt, wie psychotherapeutische Methoden auf ihre Wirksamkeit zu prüfen seien, welche Methoden aufgrund nachgewiesener Wirksamkeit von den Krankenkassen übernommen werden und welche Qualifikationen ein Psychotherapeut mitbringen muss. Im Zuge der Einführung des Psychotherapeutengesetztes wurde auch der „Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“ gegründet. Er besteht aus Mitgliedern der Bundespsychotherapeutenkammer und der Bundesärztekammer. Seine Hauptaufgabe besteht in der wissenschaftlichen Beurteilung (neuer) psychotherapeutischer Verfahren sowie der Festlegung der Kriterien und Qualifikationen, die ein Psychotherapeut für eine Berufsausübung erfüllen muss.

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Wer darf sich Psychotherapeut nennen?

Der Begriff „Psychotherapeut“ ist seit der Einführung des Psychotherapeutengesetzes gesetzlich geschützt. Seitdem darf er nur noch von Personen getragen werden, die über eine spezielle Ausbildung verfügen. Hierzu gehören:

Psychologische Psychotherapeuten

Es handelt sich um Personen, die über ein abgeschlossenes Psychologiestudium (früher Diplom, heute Master) mit Schwerpunkt im Bereich der klinischen Psychologie verfügen sowie eine mindestens 3-jährige Weiterbildung in einem „wissenschaftlich anerkannten Verfahren“ hinter sich gebracht haben. Zu dieser Kategorie gehöre ich.

Ärztliche Psychotherapeuten

Es handelt sich um Ärzte, die nach Abschluss ihres Medizinstudiums eine mehrjährige fachärztliche Weiterbildung gemacht und in diesem Rahmen eine psychotherapeutische Qualifikation erworben haben.

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Welche wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren gibt es?

Die folgenden Verfahren wurden vom „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“ als „wissenschaftlich anerkannt“ bewertet:

Psychoanalyse/analytische Psychotherapie

Das älteste in Deutschland anerkannte Verfahren, die Psychoanalyse, geht auf die Arbeiten von Sigmund Freud (1856-1939) zurück. Dieser beschäftigte sich im Besonderen mit dem Einfluss des Unbewussten auf unser Verhalten und Erleben. Er unterteilte die Persönlichkeit des Menschen in drei Teile: ein unbewusstes und von Trieben gesteuertes „Es“, ein von Moral, Normen und Wertvorstellungen geprägtes „Über-Ich“ und den Vermittler zwischen diesen beiden, das „Ich“. Zudem postulierte er eine Vielzahl von Entwicklungsphasen, die ein jeder Mensch zum Zwecke einer gesunden psychischen Entwicklung zu durchlaufen habe. Psychische Störungen entstehen nach der Lehre Freuds dann, wenn es während einer (oder mehreren) der Entwicklungsphasen zu Problemen kommt. Die Folge davon seien unbewusste Konflikte im Leben der Person, welche von dieser nicht gelöst werden können und sich als psychische Störungen zeigen.
Eine analytische Behandlung konzentriert sich daher klassischerweise nicht auf ein konkretes Problem, sondern versucht dem Klienten zu helfen, in den unvollständig gebliebenen Entwicklungsschritten insgesamt „nachzureifen“ und so die Probleme durch eine Weiterentwicklung der Person im Ganzen zu beheben. Das therapeutische Setting entspricht hierbei oft dem der landläufigen Vorstellung von Psychotherapie. Der Klient liegt ohne Blickkontakt zum Therapeuten auf einer Couch und „assoziiert frei“ (er berichtet ohne Zurückhaltung alles, was ihm gerade durch den Kopf geht). Der Therapeut versucht, durch Analyse des Gesagten die unbewussten Konflikte des Klienten aufzudecken und zu bearbeiten. Die Sitzungen finden dabei meist mehrmals pro Woche und über Jahre hinweg statt. Daher übernehmen die Krankenkassen in Deutschland für eine Psychoanalyse in der Regel 160 bis zu 300 Sitzungen.
Die Beschreibung hier ist stark verkürzt und vereinfacht, denn seit ihren Ursprüngen bei Sigmund Freud wurde die Psychoanalyse deutlich erweitert und es bildeten sich eine Vielzahl von unterschiedlichen analytischen Schulen, sodass es „die“ Psychoanalyse heute gar nicht mehr gibt.

tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie fußt auf den Annahmen der Psychoanalyse und kann grob als eine ihrer Weiterentwicklungen gesehen werden. Ein Hauptunterschied findet sich darin, dass die Tiefenpsychologie sich konkret auf die aktuelle Symptomatik und ihre Bezüge zur Lebensgeschichte konzentriert und nicht wie die klassische Analyse darauf abzielt, dass sich der Klient in seiner Gesamtheit weiterentwickelt. Klient und Therapeut sitzen sich mit Blickkontakt gegenüber und die Sitzungen finden nur ein bis zwei Mal die Woche statt. Die Krankenkassen in Deutschland übernehmen für eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie in der Regel 40-100 Sitzungen.

Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie ist die jüngste der drei hier beschriebenen Therapieschulen. Sie hat ihren Ursprung in den wissenschaftlichen Untersuchungen der Lernprozesse bei Menschen und Tieren, die in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen. In Versuchen zeigte sich, dass sich die meisten psychischen Störungen gut mit fehlgelaufenen Lernprozessen erklären lassen und dass sie, genauso wie die Störungen einst „erlernt“ wurden, sich auch wieder „ver- oder umlernen“ lassen. Kurz zusammengefasst: „Alles Verhalten (hilfreiches aber auch problematisches) ist erlernt. Und so, wie es möglich war es einstmals zu erlernen, ist es jederzeit möglich es wieder zu verlernen (oder umzulernen), wenn es sich als problematisch erweist.“
Der Fokus dieser Therapieform liegt daher weniger auf der Suche nach den Ursachen für die aktuelle Störung in der Vergangenheit oder dem Unbewussten als vielmehr auf einem aktiven Bearbeiten der gegenwärtig als problematisch erlebten Verhaltensweisen. Das bedeutet nicht, dass die Vergangenheit außer Acht gelassen wird, sondern schlicht, dass es um die Veränderung problematischer Verhaltensweisen in der Gegenwart geht, was in jedem Fall funktioniert, egal ob man deren Ursprung kennt oder nicht.
Ein kurzes Beispiel dazu macht die Ausführungen vielleicht verständlicher:

Ein Junge wächst in einer Familie mit einem sehr dominanten und aggressiven Vater auf. Dieser lässt keine Meinung neben seiner zu und schlägt den Sohn, wenn dieser eine andersartige Meinung oder eigene Bedürfnisse äußert, die denen des Vaters widersprechen. Demzufolge lernt der Sohn, dass es gefährlich ist, seine Meinung zu äußern. Vielleicht beginnt er sogar, daran zu zweifeln, dass er ein wertvoller Mensch ist, denn Schlechtes wird bestraft, und wenn eine Äußerung seiner Bedürfnisse zu Strafe führt, bedeutet das für ihn evtl., dass seine Bedürfnisse etwas Schlechtes sind.
Dieser Junge wächst nun zu einem Mann heran. Er verlässt das Elternhaus und beginnt, sein eigenes Leben zu leben. Dabei stellt er jedoch fest, dass er häufig sehr unglücklich ist. Er hält sich selbst für minderwertig und scheut sich, seine Meinung zu äußern oder andere Leute um etwas zu bitten. Schließlich lernte er über seine Jugend hinweg, wie gefährlich dies ist. Häufig kommt es vor, dass er von anderen ausgenutzt wird und sich dagegen nicht zur Wehr setzt.
Wenn dieser Mann nun eine Verhaltenstherapie macht, wird es darum gehen, dass er übt, seine Meinung und seine Bedürfnisse wieder auf eine angemessene Weise zu äußern. Er wird lernen, dass dies in seinem aktuellen Leben nicht mehr zu schrecklichen Konsequenzen führt, sondern dass sich sein Leben dadurch sogar verbessert. Durch diese Erfahrung wird auch sein Selbstwert wieder wachsen, da er erlebt, dass anderen Leuten seine Meinung wichtig ist und sie seine Bedürfnisse respektieren.


Bei diesem Prozess des Um- und Neulernens ist es hilfreich, die Lebens- und damit auch Lerngeschichte eines Klienten zu kennen, um besser zu verstehen, woher die Probleme stammen. An dem oben gezeigten Beispiel sieht man jedoch auch, dass das nicht immer zwingend notwendig ist, um problematisches Verhalten zu Verändern. Wenn man feststellt, dass der junge Mann aus dem Beispiel Probleme damit hat, seine Bedürfnisse gegenüber anderen zu vertreten, so kann man mit ihm daran arbeiten, diese Fähigkeiten zu erlernen, ganz egal woher die Probleme ursprünglich stammen. Gearbeitet wird in der Verhaltenstherapie also ganz konkret an der Veränderung aktueller Verhaltens- und Denkweisen, die dazu führen, dass Leid entsteht bzw. aufrechterhalten wird. Die Krankenkassen in Deutschland übernehmen für Verhaltenstherapie in der Regel 25-80 Sitzungen. Diese finden meist im wöchentlichen Rhythmus statt.


Nur wenn ein Psychotherapeut nach einer dieser drei Schulen arbeitet wird die Leistung von den Krankenkassen übernommen. Daher heißen diese Verfahren auch „Richtlinienverfahren“.


Aktuell gibt es noch zwei weitere „wissenschaftlich anerkannte Verfahren“. Behandlungen nach diesen Verfahren werden jedoch bisher nicht von den Krankenkassen übernommen:

Gesprächspsychotherapie (anerkannt seit 2002)

Diese auf Carl R. Rogers (1902-1987) zurückgehende therapeutische Schule geht von einem jedem Menschen angeborenen Streben nach „Selbstverwirklichung“ aus. Zu einer psychischen Störung kommt es nach Rogers Annahme dann, wenn ein Mensch in diesem Streben behindert wird.
Ziel der Gesprächspsychotherapie ist es, den Klienten dabei zu unterstützen, seine Bedürfnisse, Wertvorstellungen und persönlichen Ziele zu erkennen und sie dadurch wieder besser verfolgen zu können oder diese so anzupassen, dass er wieder zufriedener mit seinem aktuellen Leben ist.

Systemische Therapie (anerkannt seit 2008)

Die systemische Theorie hat keinen eigentlichen „Gründer“, sondern entwickelte sich aus einer Vielzahl von Einflüssen. Im Kern geht es um die Annahme, dass die Ursachen von „psychischen Auffälligkeiten“ nicht bei der darunter leidenden Person allein zu suchen sind, sondern im gesamten sozialen System, in dem sich die Person befindet. In der systemischen Therapie wird zudem die Diagnostik „psychischer Störungen“ abgelehnt. Psychische Auffälligkeiten werden nicht als „krank“ angesehen, sondern gelten als nachvollziehbare Reaktionen (oder auch „missglückte“ Lösungsversuche) der Person auf Probleme in deren „Lebenssystem“. Es geht während der Therapie häufig darum, Probleme aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und dadurch zu neuen Lösungsansätzen zu kommen.
Diese Therapieform findet vor allem bei Paar- und Familientherapien Anwendung.


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